Frühgeburt und Musik als Lebensbegleiter – ein rückblickender Erfahrungsbericht. Bettina wurde vor 20 Jahren in der 29. Schwangerschaftswoche geboren. Sie berichtet über die Erfahrungen ihrer Eltern auf der Neonatologie. Sie erzählt über ihren persönlichen Lebensweg. Und sie beschreibt, welche Rolle dabei Musik gespielt hat und immer noch spielt. Bettina schildert eindrücklich die Phase des Bangens und Hoffens während der erste Monate. Mehr erfahren, wie wichtig es für Eltern ist, in dieser Zeit ihrer Intuition zu folgen. Ausserdem berichtet Bettina, welchen Weg sie selbst eingeschlagen hat.
«Im Frühling, wenn die Schneeglocken blühen … »
«Im Frühling, wenn die Schneeglocken blühen, kommt dein Geschwisterchen zur Welt», sagte meine Mutter zu meiner grossen Schwester. Es war an einem Abend im Dezember. Sie sassen auf dem Sofa und hörten Weihnachtsmusik, als meine Mutter spürte, wie sie Fruchtwasser verlor. Dies war doch noch viel zu früh! War sie doch erst in der 26. Schwangerschaftswoche! Einem überstürzten Aufbruch ins Krankenhaus folgten drei Wochen strikte Bettruhe. Man versuchte, die Geburt noch hinauszuzögern. Weihnachten, Silvester, Neujahr vergingen. Jeder Tag war ein gewonnener Tag.
Dann, Anfangs Januar, gerade als die 29. Schwangerschaftswoche erreicht war, musste ein Notkaiserschnitt gemacht werden. Die Herztöne des Babys zeigten, dass es gestresst war. Es musste sofort gehandelt werden. Dann kam ich zur Welt: 42 cm gross, 1500 Gramm leicht – aber lebend und gesund.
Bangen zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Doch die Erleichterung hielt nicht lange. Sieben Tage verliefen komplikationslos. Dann kam der Schock. Nekrotisierende Enterokolitis war der Fachausdruck für das, was erst der Anfang von vielen Komplikationen war. Ich liess keine Komplikation aus, welche eine Frühgeburt mit sich bringen kann. Für meine Eltern bedeutete das bange Monate zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Unsicherheit und Zuversicht, zwischen Tod und Leben.
«Wie sollte denn so ein kleines Geschöpf überleben, welches gegen so viele Rückschläge ankämpfen musste? Und wie würde wohl ein Leben danach aussehen?»
«Intuition, dass Musik verbindet»
Meine Eltern sassen oft neben dem Inkubator. Sie streckten ihre Hände zwischen den Schläuchen und Apparaten hindurch und berührten ihr Kind. Oft schenkten sie mir aber auch mit ihrer Stimme Geborgenheit, sei es beim Känguruhen oder im Brutkasten. Sie sangen für mich: Wiegenlieder, Schlaflieder, Kinderlieder. Meine Mutter versuchte das, was sie während der Schwangerschaft täglich gemacht hatte, aufrecht zu erhalten. Dadurch schaffte sie eine vertraute und liebevolle Umgebung inmitten der Schläuche und Kabel. Sie sang täglich für mich. Sie sang in der Hoffnung, eine Verbindung zu ihrem Kind herzustellen und mir Zuversicht und Hoffnung zu schenken.
Ohne Fachpersonal, welches darüber aufklären konnte, was die positiven Auswirkungen der Musik und des Singens auf die Allerkleinsten sein können, waren meine Eltern auf ihre Intuition angewiesen. Meine Mutter vertraute auf ihr Gefühl, dass die Musik sie mit ihrer Tochter verbinden könnte, sie vertraute auf die Zuversicht, welche sie hoffte, auf ihr Kind übertragen zu können.
«Musik hat mir in einer gewissen Weise das Leben gerettet und die Person aus mir geformt, welche ich heute bin»

Bettina heute als junge Studentin | Photo © Bettina Brühwiler
Heute bin ich 20 Jahre alt und die Musik war mein Leben lang ein ständiger Begleiter. Mit vier Jahren erhielt ich meinen ersten Geigenunterricht. Es folgte Blockflötenunterricht, dann Gesangsstunden und Klavierunterricht, das Mitwirken in verschiedensten Orchestern, Ensembles und Chören. Mittlerweile fokussiere ich mehr auf den klassischen Gesang. Ich geniesse aber auch das Musizieren in einer Acapella-Gruppe und in einem Folk-Duo ebenso. Die Musik hat einen grossen Stellenwert in meinem Leben. Sie ermöglicht mir, mich auf ganz neue Weisen auszudrücken und erfüllt mich mit unbändiger Freude.
Rückblickend kann ich sagen, Musik hat mir in einer gewissen Weise das Leben gerettet und ganz bestimmt die Person aus mir geformt, welche ich heute bin.
Eure Gedanken und Kommentare?
Ich freue mich auf Eure Kommentare und Gedanken.
- Habt Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?
- Was hat Euch in dieser Zeit geholfen?
- Was haben Eure Eltern erlebt?
- Wie geht es Euch heute?
- Oder habt Ihr mich vielleicht sogar vor 20 Jahren betreut?
Liebe Frau Brühwiler
Ich habe ihren Bericht mit grossem Interesse gelesen und mich teils darin selbst wiedergefunden. Ich kam in der 32. Schwangerschaftswoche mit 1150 g zur Welt und war gerade mal 37 cm gross. Meine Mutter hatte eine Schwangerschaftsvergiftung und ich musste per Kaiserschnitt zur Welt geholt werden. Da ich auf der Neonatologie versorgt wurde und meine Mutter in diesem Versorgungsprozess nicht gross teilnehmen konnte, fing sie an mir die Melodie meiner Spieluhr und eines anderen Liedes zu singen. Als ich dann 1800 g an Gewicht erreicht hatte, mussten meine beiden Leistenbrüche operiert werden. Laut Aussage des operierenden Arztes, war ich sehr unruhig und hatte stark geweint. Als er die Kinderkrankenschwester aufforderte, die Spieluhr aufzuziehen, trat bei mir eine merkliche Beruhigung und Entspannung ein. Auch in meinem Leben spielt Musik bis heute eine grosse Rolle. Ab dem sechsten Lebensjahr nahm ich Klavierunterricht. Mein Schwerpunktfach am Gymnasium ist Musik und zur Zeit spiele ich drei Instrumente.
Liebe Saskia
Wie schön, meldest du dich! Mich freut es sehr, positive Geschichten von ehemaligen Frühgeborenen zu hören und zu lesen. Musik kann manchmal vielleicht eben doch Wunder bewirken… Ich wünsche dir alles Gute und weiterhin viel Freude an der Musik!
Bettina