Katharina Busch – All Eyes On You
(read englisch version here) Für mich ist es ein Privileg, eine Freundin zu haben, die mir so sehr vertraut und mich mitnimmt, ihr 510 Gramm leichtes Baby in der Frühgeborenenstation zu besuchen. Der Ort, an dem sie und ihr Partner monatelang tagein tagaus mehrere Stunden an seinem Inkubator sitzen, seinen kleinen Körper wärmen, ihm vorsingen und um sein Leben kämpfen.
Hayao kam in der 26. Schwangerschaftswoche zur Welt, nachdem seine Mama in der 18. SSW ihr Fruchtwasser verloren hatte. Er war vier Monate lang auf der Neonatologie und ist mit Sauerstoff Nachhause gegangen.
Mein Besuch auf der Neonatologie
Wir laufen den langen Gang des Kinderspitals entlang und ich bin aufgeregt und etwas unsicher. Was erwartet mich jetzt? Das ist nicht einfach ein Besuch im Krankenhaus bei jemandem, der sich ein Bein gebrochen hat. Nie zuvor kam ich der Grenze zwischen Leben und Tod so nah, wie an diesem Tag und an diesem Ort. Nie zuvor habe ich so hautnah erfahren, wie wenig selbstverständlich das Leben ist.
Wir erreichen die Tür zur „Frühchenstation“ und treten ein in einen anderen Kosmos. Hier weht ein anderer Wind. Hier ticken die Uhren anders. Ja hier scheint sogar die Luft eine andere zu sein. Luft erfüllt von der grössten Liebe, die man sich vorstellen kann, gemischt mit der grössten Angst, die jemand haben kann. Aber auch von Dankbarkeit und unsagbarem Glück.
Es ist als trete man in eine Wolke. Eine Wolke, die dem Himmel fast schon ein bisschen zu nah ist. Im Kontrast zu diesem fast schon spirituellen Ort stehen die zahlreichen piepsenden Maschinen, das grelle Licht, die weissen Kittel, der Geruch von Desinfektionsmittel und die vielen Schläuche, die von den Maschinen bis in die Inkubatoren reichen.
Hayaos Insel
Hayao, der Junge meiner Freundin, ist nicht das einzige Kind, das hier liegt. Bevor wir sein gläsernes Bettchen erreichen, laufen wir an fünf weiteren kleinen Inseln vorbei, auf denen Eltern neben ihren kleinsten, grössten Schätzen sitzen. Nun stehen wir auf Hayaos Insel und blicken dieses unglaubliche Wunder an.
Es ist alles da – alles einfach sehr, sehr klein. Sein starkes, schnelles Herz schüttelt bei jedem Schlag seinen ganzen Körper durch. Man sieht seine blauen Adern durch die dünne, feine Haut. Er hat überall Schläuche, auch einen in der Nase, weil seine Lungen nicht gut genug ausgebildet sind und Unterstützung brauchen. Wir singen ihm ein Lied vor und reden mit ihm.
Eine berührende Erfahrung wird zum Lied
Als ich mich auf den Nachhauseweg mache, wünsche ich mir einfach nur, den Kleinen wiederzusehen. Ich bin tief berührt von dieser Erfahrung und setze mich zuhause mit meiner Gitarre aufs Bett und schreibe ein Lied für Hayao und seine Eltern.
Manchmal ist Songwriting ein Kampf für mich. Ich habe eine Melodie, finde aber die passenden Worte nicht und mühe mich ab, eine passende Geschichte zu bauen. Mit „All Eyes On You“ ist das nicht so.
Die Worte kommen sehr schnell und ganz natürlich, fast gleichzeitig mit der Melodie, so als ob sie gesagt werden sollen und ein bisschen so, als ob jemand anderer sie schickt. So fühlt sich Songwriting ehrlich an für mich. So spüre ich wieder, was für ein Geschenk es ist, mich auf diese Art und Weise ausdrücken zu können und Dinge zu verarbeiten.
Hayaos Mama ist auch Sängerin und Songwriterin mit dem Künstler:innen Namen «Moira». Sie gibt dem Lied, mit einer von ihr geschriebenen Bridge, den letzten Schliff.
Ich widme mein Lied den starken Eltern von Hayao und ihrem fröhlichen und aufgeweckten kleinen Prinzen, der sich wunderbar entwickelt hat, mittlerweile fünf Jahre alt ist und in den Kindergarten geht. Und ich wünsche mir, dass das Lied und Hayaos Geschichte noch viele weitere betroffene Eltern erreicht und ihnen Kraft und Hoffnung gibt.
«All Eyes On You» anhören: Hier
Katharina Busch folgen: www.katharinabusch.com
Moira folgen: www.moiramusic.ch
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